Kunst ist etwas, was man nicht anfassen (begreifen) kann – Kunst ist ein öffentliches Ereignis. Kunst ist ein Fenster, vom Künstler im öffentlichen Raum erzeugt, in dessen Rahmen alles und jedes interpretierbar wird. Sicher gibt es einen Unterschied zwischen einem gemalten Bild und einer zerbeulten Coladose, letztlich sind es aber nur Objekte, die a priori noch nichts mit Kunst zu tun haben. Erst wenn ein Objekt (auch das Bild) seine Alltagswelt (Atelier) verlässt und in einen Kunstraum überführt wird, hat jedes Ding die gleiche Chance als Kunst wahrgenommen zu werden. Nur weil ein Bild einen Rahmen hat und sich als Maltat unterscheidet, ist es nicht automatisch Kunst. Es bleibt ein mehr oder weniger gekonntes Handwerk, das natürlich die Bewunderung der Leute einfordern kann. Sei es nun ein Bild (es gibt nicht das leiseste Argument gegen das Tafelbild), oder die Coladose, es kommt darauf an, Bedingungen zu schaffen, die einen Gegenstand als Kunst wahrnehmen lässt. Im System des Alltags wird ein Fenster geöffnet, das besagt: Schau mit deinen Augen, wie du immer schaust, aber nehme den Gegenstand X unter den Bedingungen von Y wahr. Es sind die Bedingungen, unter denen zwangsläufig etwas zu etwas Anderem wird. Die Möglichkeit dieser Transformation ist zuallererst die Tat eines Menschen, der mittels seiner Kraft einen Rahmen schafft, durch den Welt neu gesehen wird, dieser Mensch ist ein Künstler. Alle anderen sind Handwerker.

der sprachlose Raum

Es ist der 26. Juni 1994, ich blättere in meinem Atlas, mache Reisen in ferne Länder, bin Herr über Zeit und Raum. Ich denke an die letzten Ureinwohner Papua-Neuguineas, die sicher erstaunt sein würden, plötzlich und unvermittelt, in einer europäischen Großstadt aufzutauchen. Wahrlich unaussprechlich muss es ihnen vorkommen, mit Dingen umzugehen, die sie nie zuvor gesehen haben. Es würde sie mit Gewalt treffen, genau wie es mich trifft, wenn ich auf eine Situation stoße, auf die ich nicht vorbereitet bin. Es ist ein Gefühl des ‚Geworfenseins‘, gleich einem Flugzeugabsturz, ich könnte vielleicht den Piloten kritisieren, aber nicht die Welt, in der ich gerade gelandet bin. Es ist eine neue Bedingung und als solche höchst undemokratisch. Das Fremde ist das Neue und muss, dem Begriff treu, einen Schritt von der alltäglichen Erfahrung gelegen sein. Dieser erst mal sprachlose Raum ist genau der Abstand, den ein unmittelbares Erleben zur Entfaltung braucht.
Mit der zunehmenden Erfahrung und Einsicht des Menschen schwand der sprachlose Raum immer mehr, bis fast nichts übrig blieb. Die anfängliche Beschreibung wurde zur Ansicht, die sich mit der Zeit erhärtet hat.
Der Verstand ist nicht gut oder böse, er lässt das Chaos organisieren, Erfahrung verifizieren, Utopien entwerfen und Häuser bauen. Es ist das Wesen unserer Art, den Lauf der Dinge nach unserem Willen zu gestalten und durchaus erfüllt es uns mit Stolz, die Apokalypse selbst herbeiführen zu können. Gott ist überwunden als allmächtiger Vater, der uns strafen kann. Wir sind es, die sich die Freiheit nehmen zu gehen, wenn uns danach ist. Wir bestimmen selbst, sind verantwortlich geworden.
Ein Ausbruch aus diesem System, wie notwendig er auch erscheint, kann kein Ausbruch sein, man würde das System nicht verlassen, nur bestätigen. Es geht mir um das leise Schließen einer Tür, die gerade auf dem Weg liegt. Irgendeine Tat, die diese Welt für einen Augenblick anhält, kann es möglich machen, eine dieser Türen hinter sich zu lassen: Meine Mitgliedschaft, meine Zugehörigkeit wird zur Disposition gestellt, das Individuelle tritt hervor. Mein ausdrückliches Sein, meine ausdrückliche Entäußerung spiegelt den Verlust der Ganzheit. Es ist die latente Erinnerung, die meine Sehnsucht bestimmt, nach dem zu suchen, was immer noch in mir lebt und wirkt, dem Einen, dem Einzigen, als Zeit und Raum noch nicht geboren waren. Ich schaue in die Dunkelheit und habe begriffen, dass sich die Ideen nur auf einer kleinen, instabilen Insel befinden, die durch meinen Verstand in Waage gehalten wird. Das Schöne und das Hässliche liegen dort, wie jeder Begriff.
Es ist die Frage nach der Erscheinungsform, die Frage der Wahrnehmung und eine Frage des Standpunkts. Um aber eine Antwort geben zu können, muss ich wissen, dass diese Fragen nur beantwortbar sind, solange sie sich auf ein System beziehen, das sich in der Fragestellung selber meint.
So weiß ich nicht, was Kunst ist, doch weiß ich um die Art, wie sie zur Darstellung gelangt.