Oszillationen

Warum kann ich Beethoven hören, ohne mir Gedanken über seine Zeit machen zu müssen? Bei Lyrik oder Prosa gelingt das nur bedingt, denn natürlich ist Musik immer ein Ereignis in der Zeit. Das Wort muss gelesen, transformiert, encodiert werden.
Das Narrativ in der Musik ist eher klein, wird aber gebraucht um grössere Bogen zu spannen(, wie bei der Pastorale). Wo diese Ebene aufgegeben wird, zerfällt das duale Prinzip von Realität und Interpretation, wird ersetzt durch emotionale Eindrücklichkeit, bis zum Geräusch, wird konkreter.
Aber letztlich geht mir konkrete Kunst auf den Senkel und doch, für Malerei ist es der halbe Weg. Sehe ich einen Rembrandt, ist das Eingebettetsein in den kunsthistorischen Kontext eher die letzte Ebene über die ich nachdenke, aber bis ich bei Flauberts Roman ‚Madame Bovary‘ über 1857 hinaus gelesen habe, dauert es. Zitat Wikipedia: […] gilt als einer der großen Werke der Weltliteratur aufgrund der seinerzeit neuartigen realitätsnahen Erzählweise‘. Ja was nun? Heute nicht mehr neuartig, ist er nur noch für Historiker gut? Vergegenwärtigt stehe ich vor dem großen Bild ‚Kämpfende Hirsche oder Brunft im Frühling‘, 1858/1859 von Courbet: Malerei, die sich weit über dem Ereignis einer großbürgerlichen Szenerie erhebt.
Gute Malerei ist Befreiung, Offenlegung des ästhetischen Gitters, das ging mindestens bei Rembrandt los. Auch davor wurde dieses Gitter angelegt, nur war es ein ideales, von der Form, vom Objekt her gedachtes – durchaus mit grandiosen Ergebnissen. Mir geht es in erster Linie nicht um das Feld, sondern um die Furche: ein Feld entwickelt sich durch die Setzung von Strichen (wie bei van Gogh), wird zur Form, zum Bild. Hierarchisch völlig unterschiedliche Ansätze.
Zwei, drei Striche sind schon ein Gesicht, eine Tür, Berg oder Galgen. Das Eigentliche bleibt außen vor, stellt sich als Referenz ein. Nun verhält sich der Strich zum Mitgedachten wie zum Feld, das wäre die Oszillation, das Schwingen zwischen Bestimmung und Konkretion, vielleicht wie das leise Summen eines Bildes bei Karl Heinrich Greune. Mehr ist da nicht, aber das ist schon viel, in einer Zeit, da Malerei sich immer wieder neu behaupten (den Kopf aufsetzen) muss. Das Bild selbst wird zur offenen Schöpfung (aus der großen Suppe heraus), ist nicht mehr Repräsentant von etwas anderem, obwohl es vom Wesen außerhalb Zeugnis ablegt.
Auf der Grenzfläche wird immer neu eingeschrieben, was die Form beinhaltet, nur ist diese Grenze eher eine Membran, auf die projeziert wird, bei einem Bildwerk können wir nun aussuchen von welcher Seite aus es betrachtet werden soll.