Archiv für den Monat: Januar 2024

Die ‚Malerei malen!’*

Fünf Gedanken zu den Bildern von Karl Heinrich Greune, deren Entstehung ich 1980–82 miterleben durfte. Vielleicht stand ich einmal zu oft in seinem Atelier am Wandrahm, zumal nicht sein Student, aber immer war es eine kleine Sensation.
Alles was ich heute sehe, wahrnehme, interpretiere ist der Unterschied von besetzter zu unbesetzter Stelle. Wie etwas auf mich wirkt, ist abhängig von der Leere zwischen den Setzungen, dem sprachlosen Raum. Auch innerhalb des schon Besetzten entstehen Pausen: Farbe wurde aufgetragen, darauf hintereinander einzelne Striche. Dieser Intervall ist notierter Rhythmus und auf seiner Strecke geronnene Zeit. Zugleich erlebe ich das Übereinander, das Gleichzeitige im Ungleichzeitigen und den Diskurs der Chromatik: ein in sich schwingendes Feld entsteht.
Im Wissen, dass schon der kleinster Punkt unendliche Dimensionen haben mag, erscheint die nächste Setzung als freie Reaktion auf eine Aktion im begrenzten Rahmen der bewußten Auseinandersetzung. Im Wissen, dass für die Malerei nichts getan werden kann, außer sie zu malen, wird sie so zum erklärten Diskontinuum, zum konkreten Objekt, somit wahr – mit der gleichzeitigen Beschreibung einer möglichen Wirklichkeit.
Sprache versagt an den Zwischenräumen, aber oszilliert an möglichen Kreuzungen, oder Knoten; sie dort im Werden zu halten ist schöpfungsgleich: Im Anfang war das Wort. Die Metapher der Genesis, Surrogat einer kreativen, souveränen Mal-Tat im vermeintlich zweidimensionalen Raum.
Das Werkzeug ist mir mit dem Bild an die Hand gegeben, bin es selbst, der Linien, Punkte, Flächen und Verläufe verbindet, addiert, versinn(bild)licht, nur um mich in den Stand kreativen Sehens versetzt zu sehen.
Die reale Unschärfe – Eingelöst!

Danke Karl Heinrich †

––––––––––––––––––––
*Titel von H-J Manske im Katalog von 1993, Hsg.: Städtische Galerie Bremen

:about

Kunst gibt es wohl nur, weil wir unsere Entäußerungen und Leben nicht zusammen bringen. Arkadien war /ist ein Versuch, der immer wieder in Bedeutungslosigkeit versinkt. Einzig Beuys hat es geschafft zumindest die Brücke zu schlagen: In der Kunst sein, jedoch als politisches Drama, als Geste!
So ist Kunst ein Phänomen der gesellschaftlichen Praxis, zuallererst ein öffentliches Ereignis, ist Rahmung, unter dem X, wie Y wahrgenommen werden kann. Ein Stuhl im Museum ist ein anderer, als der der auf dem Sperrmüll steht, auch wenn es der gleiche ist.
Kunst an sich wird es nicht geben (können), sie ist Übereinkunft, Mittel zur Erinnerung unserer kommunikativen Gestalt. Kunst als Sublimation, denn natürlich sind wir von der Sehnsucht erfasst, Körper und Seele /Leben und Kunst zusammen zu bringen. Bei schwerer Krankheit, Extremsituationen, oder Meditation kann – unter Aufgabe des Ichs – dies auch gelingen. Doch so fein sich das anhört, als dauernder Zustand würde die Entwicklung der Menschheit enden. Ob diese bis hier hin gut war, sei dahingestellt, noch haben wir alle Möglichkeiten.

Beuys hat’s gewußt. Ich begreife die gesellschaftliche Notwendigkeit, die Inszenierung, nur bedingt – Glaube allein reicht nicht. Anders ist /bleibt es Handwerk, wird zum Gebrauchsgut die nichts bedeuten will: Sie funktioniert im Kontext (des Betriebs) ohne wirklich zu sein. Leider ist dieses Phänomen auch bei aktuellen Arbeiten zu beobachten, vieles affirmiert, wird erklärt, zelebriert, raffiniert, sich von fremdem Fleisch ernährt, ein neuer Blick ist selten. Diesen wieder möglich machen, unverwandt die Dinge schauen – namenlos – im sprachlosen Raum, den es Kraft einer künstlerischen ‚Tat‘ hervorzurufen gilt. Kunst bedeutet, diesen Raum zu füllen, und die Zeit beginnt erneut mit einer erkennbar definierten Lücke. Zeit die absichtlich verloren wurde, der Abstand, den eine gute Arbeit ausmacht. Ma(h)lzeit!

Exzessive Bespaßung kann das Selbe erreichen. Die 3D-Brille und KI machen möglich, dass sich der Proband in eine Situation geworfen fühlt, die er normal nicht beherrschen muss. Mit Fallnetz und ‚exit bevor heart attack‘ gehen Leute ins abgesicherte Risiko, Welten zu erleben, die kunstgleich Zuwachs versprechen.
Wenn nun noch KI und Kunst zusammen gehen (ein Glück ist das noch nicht der Fall, oder nur sehr billig), wird die Trennlinie aufgeweicht wie beim Film im großen Kino – da wird an allen Sinnen gerüttelt, gezerrt, nur zu selten am Verstand! Die Distanz fehlt, man wird eher aus- oder gleichgeschaltet als mitgenommen, ist innerhalb des Horizontes. Kunst sollte auf den Horizont zeigen, ein Schritt darüber hinaus und alles verdunstet. In der Blase des ichlosen Selbst wird der Widerspruch aufgehoben.
Somit wird der Hang zum Gesamtkunstwerk, ein Ersatz für das Kirchenschiff, die Bespiegelung als neue Wirklichkeit mit der Annahme zur Erlösung. AuAu. Gegenstand ist Widerstand, außer in der Quantenphysik.

[Nach Walter Benjamin würde ich nicht über das Erhabene in der Kunst nachdenken wollen, sondern über das Erhobene. Weiter über Derridas Rahmung, was ich mit dem Passepartout ausgedrückt sehe, und Rorty nach dem es die Kunst an sich gar nicht geben kann. Das führt dann im großen Schlag zu Latour, der die gesellschaftliche Dimension wieder in den Vordergrund rückt, und bin somit wieder bei Beuys, der oft zusammengeschoben hat was nicht zusammen gehört, um seine Wahrheit wirklich werden zu lassen.]

Was hat es nun mit der Kunst auf sich? Letztlich ist sie nur ein Mittel – eine Mittlerin, zwischen Entäußerung und Betrachter im gesellschaftlichen Kontext, das Schmiermittel im Getriebe. Heute wird Deutung den Philosophen überlassen, es entstehen bunte Bilder, die die Kanten schleifen, runden, unser Sein erträglich machen. Nichts davon löst den unlösbaren Widerspruch, also, ab und an etwas Salz in die Wunde zu streuen ist schon angebracht!, es richtet, justiert neu.
In den modernen Gesellschaften ist der Schmerz als Erzieher und Ratgeber in den Hintergrund gerückt, weichgespültes Tun, Kriege an den Rändern zeigen das komplementäre Bild, rücken ins Zentrum. Unsere Bestürzung ist groß, die neue Unmittelbarkeit gibt ihren Einstand, Kunst verharrt im Bildungsbürgertum. Vincent Van Gogh wie Casper David Friedrich gesehen zu haben ist wichtiger, als das Aussergewöhnliche im Alltäglichen. Nur öffnen sich die Augen nicht bei einem Objekt, wo schon ‚KUNST‘ darauf steht, es bleibt bei der bloßen Bestätigung. Kunst ist aktives Sehen, Erleben, Erkenntnis.
Die beiläufige Irritation, die, die aus dem Betrieb kurz herausragt, damit sich Menschen dran stoßen, sie fähig machen, sich bewußt in den Widerspruch zu setzen: Klärung des Individuums als Teil des /im Ganzen. Dem Sowohl als Auch. Dem Hier und Dort zugleich.